Ein verrücktes Projekt

Also - was nun hat mich – einen kahl werdenden, dickbäuchigen Deutschen mit Conterganbehinderung – bloß bewogen, als Aktmodel für Fotoaufnahmen zu posieren?
Ich sehe aus wie ein rosafarbener, rundlicher, bebrillter Pinguin, und wegen meiner kurzen Arme kann ich mich am Strand immer kaum überwinden, mein T-Shirt auszuziehen. Und trotzdem habe ich mich selbst und elf andere Nicht-Fotomodels, die auch contergangeschädigt sind, dazu überredet, sich splitternackt auszuziehen und für die Kamera zu posieren.

Die Idee dahinter war, eine Reihe von ehrlichen, schönen Fotos zu machen, die ich ausstellen, in einen Film und in einem Bildband zeigen könnte. Ich musste also ahnungslose Opfer finden und meinen nicht vorhandenen Charme anwenden, um sie zu überreden, sich an diesem verrückten Projekt zu beteiligen. Und ich musste den Mut aufbringen, mich bloßzustellen, mich selbst zu betrachten und zu akzeptieren, dass niemand vollkommen ist: »NoBody’s Perfect«.

Bis zu dem Zeitpunkt in meinem Leben, an dem das Projekt startete, hatte ich mich damit zufrieden gegeben, meine Behinderung und meinen Körper zu verdrängen. Meine Filme handelten nicht von Behinderungen und ich hatte mich bewusst nicht als anders als alle um mich herum gesehen. Ich kann keine Bauchstützen machen, mir die Schuhbändel nicht zubinden und auch kein Klavier die Treppe rauf tragen – na und? Die Missionarsstellung ist schließlich nicht die einzige Möglichkeit der körperlichen Liebe. Auch ohne diese Dinge komme ich im Leben klar.

Aber was ich nicht verdrängen konnte, war die Tatsache, dass die Leute bei der ersten Begegnung mit mir zuallererst auf mein Äußeres reagieren. Auch wenn sie nichts sagen, so reagieren sie doch. Manche starren, aber die meisten schauen höflich weg, um ja nicht zu zeigen, dass sie es bemerkt haben. Oder sie fangen an, sich heftig an der Nase zu kratzen, um ihre Verlegenheit zu verbergen. Und ich konnte es ihnen nicht einmal verdenken. Auch ich habe mich immer äußerst unbehaglich gefühlt, wenn ich anderen Contergan-Opfern begegnet bin. Wenigstens habe ich meine Unsicherheit von früher, als ich jünger war und Capes trug, weit hinter mir gelassen. Heute bin ich mit meinen kurzen Armen in den Kreisen der Filmfestivals und auf den Straßen meiner Wohngegend ein vertrauter Anblick. Doch ich kenne viele Behinderte, die aus Angst vor den verächtlichen, verwirrten, belustigten oder
mitleidigen Blicken, denen sie ausgesetzt sind, nur ungern aus dem Haus gehen oder es ganz vermeiden. Und genau das sind die Menschen, die ich in nackte Fotomodelle verwandeln wollte!

Schon vor vielen Jahren hatte ich die Idee, eine Serie von schönen Aktaufnahmen Behinderter zu machen. Damals riet mein Therapeut mir, es nur dann zu tun, wenn ich bereit wäre, mich selbst für die Kamera auszuziehen. Die Vorstellung machte mir soviel Angst, dass ich den Gedanken wieder fallen ließ, und vielleicht hätte ich ihn für immer fallen gelassen, wenn der WDR mich nicht gefragt hätte, ob ich einen persönlichen, originellen und witzigen Dokumentarfilm über Menschen drehen wollte, die durch Contergan behindert sind. Ich war von dem Vorschlag ganz und gar nicht angetan. Schließlich bin ich ein ernsthafter (das heißt ein launischer, temperamentvoller und spontaner) Filmemacher, der seine Privatsphäre liebt und alles tut, um seine Behinderung zu vergessen. Warum sollte ich einen Film über Contergan-Opfer drehen wollen, und wie zum Teufel sollte ich ihn witzig machen?

Doch das Angebot kam an einem Punkt in meinem Leben, an dem mir langsam klar wurde, dass ich meine Behinderung nicht länger verleugnen und mich nicht von denen, die sie teilen, distanzieren konnte – oder sollte. Wenn ich die Leute dazu bringen wollte, mit dem Starren aufzuhören, dann sollte ich es ihnen vielleicht ermöglichen, sich satt zu starren und ihnen etwas zum Anstarren geben, was sich lohnte. Und mich dazu zwingen, selbst einmal genau hinzusehen.

Es ging nicht nur darum, die Fotoaufnahmen zu machen. Ich musste sie auch ausstellen und die Reaktionen der Kunstwelt und der Allgemeinheit sowie die der Fotomodelle selbst festhalten. Danach würde ich aus den Bildern ein Buch machen – aber würden die Leute es kaufen? Egal – einen Schritt nach dem anderen – ich brauchte erst einmal meine Modelle.
Contergan (englisch Thalidomide) wurde in fast jedem Land der Welt verkauft. Mindestens 10.000 Säuglinge waren weltweit davon betroffen; davon starben 4.000 noch vor ihrem ersten Geburtstag. Das Medikament Contergan wurde von dem deutschen Pharmaunternehmen Chemie Grünenthal hergestellt und 5.000 deutsche Contergan-Babys wurden geboren – ich bin einer der überlebenden 2.800. Da Deutschland und England zwei der am meisten von Contergan betroffenen Länder sind, und da ich in beiden lebe und arbeite, basiert das Projekt auf diesen beiden Ländern.

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